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Wilhelm Friedrich
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- Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Unterklasse -                                              Inhalt

8. Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Unterklasse

(1810 ff.)

Einleitung

§ 1

Der Gegenstand dieser Lehre ist der menschliche Wille,
und zwar nach dem Verhältnis des besonderen Willens zum allgemeinen Willen.
Als Wille verhält der Geist sich praktisch.
Das praktische Verhalten, wodurch er in seine Unbestimmtheit eine Bestimmung
oder an die Stelle in ihm ohne sein Zutun vorhandener Bestimmungen andere aus sich selbst setzt,
ist von seinem theoretischen Verhalten zu unterscheiden.

§ 2

Das Bewußtsein überhaupt ist die Beziehung des Ich auf einen Gegenstand, es sei ein innerer oder äußerer.
Unser Wissen enthält teils Gegenstände, welche wir durch sinnliche Wahrnehmungen erkennen, teils aber Gegenstände,
die in dem Geist selbst ihren Grund haben.
Jene machen die sinnliche, diese die intelligible Welt aus.
Die rechtlichen, sittlichen und religiösen Begriffe gehören zur letzteren.

§ 3

In der Beziehung des Ich und des Gegenstandes aufeinander ist Ich
1. als passives und der Gegenstand als die Ursache von Bestimmungen in mir.
In diesem Fall kommen die bestimmten Vorstellungen, die ich in mir habe, daher, daß unmittelbar vorhandene Gegenstände auf mich einen Eindruck machen.
Dies ist das theoretische Bewußtsein.
Sei es, daß es sich als wahrnehmend oder als Einbildungskraft oder als denkend verhalte,
so ist sein Inhalt immer ein schon gegebener und vorhandener und im Denken das Ansichseiende sein Inhalt.
2. Hingegen erscheint Ich als praktisches Bewußtsein, wenn die Bestimmungen des Ich
nicht nur Bestimmungen seines Vorstellens und Denkens sein, sondern in äußerliches Dasein treten sollen.
Hier bestimme ich die Dinge oder bin die Ursache von Veränderungen der gegebenen Gegenstände.

§ 4

Das praktische Vermögen bestimmt sich überhaupt innerlich, aus sich selbst.
Der Inhalt seiner Bestimmungen gehört ihm an, und es erkennt sie für die seinigen.
- Diese Bestimmungen sind aber zunächst nur innerliche und also von der Realität der Äußerlichkeit getrennt,
aber sie sollen äußerlich werden und sich realisieren.
Dies geschieht durch das Handeln, durch welches die innerlichen praktischen Bestimmungen eine Äußerlichkeit,
d. h. ein äußerliches Dasein erhalten.
- Umgekehrt kann dies auch so betrachtet werden, daß eine vorhandene Äußerlichkeit aufgehoben
und mit der innerlichen Bestimmung übereinstimmend gemacht wird.

§ 5

Die innerliche Bestimmung des praktischen Bewußtseins ist nun selbst entweder Trieb oder eigentlicher Wille.
Der Trieb ist ein natürliches Selbstbestimmen, welches auf beschränkten Gefühlen beruht und einen beschränkten Zweck hat,
über den es nicht hinausgeht, oder es ist das unfreie, unmittelbar bestimmte, niedere Begehrungsvermögen,
nach welchem sich der Mensch als Naturwesen verhält.
- Durch die Reflexion geht er über den Trieb und dessen Schranken auch hinaus.
Er vergleicht ihn durch sie nicht nur mit den Mitteln seiner Befriedigung, sondern auch diese Mittel sowie die Triebe selbst untereinander und mit den Zwecken seines Wesens und überläßt sich mit dem Schluß der Reflexion entweder der Befriedigung des Triebes, oder er hält sie auf und entsagt ihr.

§ 6

Der eigentliche Wille oder das höhere Begehrungsvermögen ist
1. reine Unbestimmtheit des Ich, die als solche keine Beschränkung, noch einen durch die Natur unmittelbar vorhandenen Inhalt hat und an sich gegen jede Bestimmtheit gleichgültig ist;
2. kann ich zugleich zu einer Bestimmtheit übergehen und die eine oder andere zur meinigen machen,
die ich alsdann in Wirklichkeit versetze.

§ 7

Die abstrakte Freiheit des Willens besteht also in jener Unbestimmtheit oder Gleichheit des Ich mit sich selbst,
worin eine Bestimmung nur ist, insofern er sie zur seinigen macht oder in sich setzt,
zugleich aber darin mit sich selbst gleichbleibt und von jeder Bestimmung wieder abstrahieren kann.
- Es können zwar dem Willen von außen mancherlei Reizungen, Beweggründe, Gesetze vorgelegt werden,
aber wenn der Mensch denselben folgt, so geschieht es nur, insofern der Wille selbst sie zu den seinigen macht
und sich dazu entschlossen hat.
- Dies ist auch der Fall mit den Bestimmungen des niederen Begehrungsvermögens
oder dem, was aus den natürlichen Trieben und Neigungen herkommt.

§ 8

Die Schuld hat der Wille
1. insofern, als seine Bestimmung nur von ihm selbst zu der seinigen gemacht ist oder seinem Entschlusse angehört:
ich habe gewollt;
2. insofern ein Wille die Bestimmungen kennt, die durch seine Handlung, wie sie in seinem Entschluß liegt, hervorgebracht werden oder die notwendig und unmittelbar mit ihr zusammenhängen.

§ 9

Die Tat ist überhaupt die hervorgebrachte Veränderung und Bestimmung des Daseins.
Zur Handlung aber gehört nur dasjenige, was von der Tat im Entschlusse liegt oder im Bewußtsein war,
was somit der Wille als das Seinige anerkennt.

§ 10

Der freie Wille als frei ist ferner nicht an die Bestimmtheit und Einzelheit, wodurch ein Individuum sich von einem anderen unterscheidet, gebunden, sondern er ist allgemeiner Wille, und der Einzelne ist nach seinem reinen Willen ein allgemeines Wesen.

§ 11

Der Wille kann zwar mancherlei äußerlichen,
d. h. nicht aus seinem Wesen hervorgehenden Inhalt in sich aufnehmen und zum seinigen machen.
Insofern bleibt er nur der Form nach sich gleich, nämlich, daß er sich bewußt ist, von jedem Inhalt sogleich wieder abstrahieren
und seine Reinheit wiederherstellen zu können, nicht aber dem Inhalt und Wesen nach.
Er ist insofern überhaupt nur Willkür.

§ 12

Damit aber der Wille wahrhaft und absolut frei sei, kann das, was er will, oder sein Inhalt nichts anderes sein als er selbst.
Er kann nur in sich selbst wollen und sich zum Gegenstande haben.
Es will also der reine Wille nicht irgendeinen besonderen Inhalt um seiner Besonderheit willen,
sondern daß der Wille als solcher in seinem Tun frei sei und freigelassen werde oder daß der allgemeine Wille geschehe.

Die nähere Bestimmung und Entwicklung von diesem allgemeinen Grundsatze des Willens stellt die Rechts-, Pflichten- und Religionslehre dar.

 

                                        Text nach Rosenkranz (Erster Kursus; Werke Bd. XVIII, S. 3 ff.).
                                        - Zusätze in Klammern von Rosenkranz, nach Hegels Diktaten.

 

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