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Georg
Wilhelm Friedrich
Hegel
Nürnberger und Heidelberger  Schriften
1808-1817


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II. Methode

A. Im allgemeinen unterscheidet man [ein] philosophisches System mit seinen besonderen Szientien
und das
Philosophieren selbst.
Nach der modernen Sucht, besonders der Pädagogik, soll man nicht sowohl in dem
Inhalt der Philosophie unterrichtet werden,
als daß man
ohne Inhalt philosophieren lernen soll;
das heißt ungefähr: man soll reisen und immer reisen, ohne die Städte, Flüsse, Länder, Menschen usf. kennenzulernen.

Fürs erste, indem man eine Stadt kennenlernt und dann zu einem Flusse, anderen Stadt usf. kommt, lernt man ohnehin bei dieser Gelegenheit reisen, und man lernt es nicht nur, sondern reist schon wirklich.
So, indem man den Inhalt der Philosophie kennenlernt, lernt man nicht nur das Philosophieren, sondern philosophiert auch schon wirklich. Auch wäre der Zweck des Reisenlernens selbst nur, jene Städte usf., den
Inhalt kennenzulernen.

Zweitens enthält die Philosophie die höchsten vernünftigen Gedanken über die wesentlichen Gegenstände,
enthält das
Allgemeine und Wahre derselben;
es ist von großer Wichtigkeit, mit diesem Inhalt bekanntzuwerden und diese
Gedanken in den Kopf zu bekommen.
Das traurige, bloß formelle Verhalten, das perennierende inhaltslose Suchen und Herumtreiben, das unsystematische Räsonieren oder Spekulieren hat das Gehaltleere, das Gedankenleere der Köpfe zur Folge, daß sie
nichts können.
Die Rechtslehre, Moral, Religion ist ein Umfang von wichtigem Inhalt; ebenso ist die Logik eine inhaltsvolle Szienz,
die objektive (Kant: transzendentale) enthält die Grundgedanken vom
Sein, Wesen, Kraft, Substanz, Ursache usf.,
die andere die
Begriffe, Urteile, Schlüsse usf., ebenso wichtige Grundbestimmungen,
- die Psychologie
Gefühl, Anschauung usf.;
- die philosophische Enzyklopädie endlich überhaupt den ganzen Umfang.
Die
Wolffischen Szientien, Logik, Ontologie, Kosmologie usf., Naturrecht, Moral usf., sind mehr oder minder verschwunden;
aber darum ist die Philosophie nicht weniger ein systematischer Komplex
inhaltsvoller Szientien.
- Ferner aber ist die Erkenntnis des
absolut Absoluten
(denn jene Szientien sollen ihren besonderen Inhalt auch in seiner
Wahrheit, d. h. in seiner Absolutheit kennenlernen)
nur allein möglich durch die Erkenntnis der
Totalität in ihren Stufen eines Systems; und jene Szientien sind ihre Stufen.
Die Scheu vor einem
System fordert eine Bildsäule des Gottes, die keine Gestalt haben solle.
Das unsystematische Philosophieren ist ein zufälliges, fragmentarisches Denken,
und gerade die
Konsequenz ist die formelle Seele zu dem wahren Inhalt.

Drittens. Das Verfahren im Bekanntwerden mit einer inhaltsvollen Philosophie ist nun kein anderes als das Lernen.
Die Philosophie muß
gelehrt und gelernt werden, so gut als jede andere Wissenschaft.
Der unglückselige Pruritus, zum
Selbstdenken und eigenen Produzieren zu erziehen, hat diese Wahrheit in Schatten gestellt,
- als ob, wenn ich, was Substanz, Ursache, oder was es sei, lerne,
ich nicht selbst dächte als ob ich diese Bestimmungen nicht selbst in meinem Denken produzierte, sondern dieselben als Steine in dasselbe geworfen würden,
- als ob ferner, indem ich ihre Wahrheit, die Beweise ihrer synthetischen Beziehungen, oder ihr dialektisches Übergehen einsehe, nicht
selbst diese Einsicht erhielte nicht selbst von diesen Wahrheiten mich überzeugte,
- als ob, wenn ich mit dem pythagoreischen Lehrsatz und seinem Beweise bekannt geworden bin, nicht
ich selbst diesen Satz wüßte und seine Wahrheit bewiese.
Sosehr an und für sich das philosophische Studium Selbsttun ist, ebensosehr ist es ein
Lernen
- das Lernen einer
bereits vorhandenen, ausgebildeten Wissenschaft.
Diese ist ein Schatz von erworbenem, herausbereitetem, gebildetem Inhalt;
dieses vorhandene Erbgut soll vom Einzelnen erworben, d. h.
gelernt werden.
Der Lehrer besitzt ihn; er denkt ihn vor, die Schüler denken ihn nach.
Die philosophischen Szientien enthalten von ihren Gegenständen die
allgemeinen wahren Gedanken;
sie sind das resultierende Erzeugnis der Arbeit der denkenden Genies aller Zeiten;
diese wahren Gedanken übertreffen das, was ein ungebildeter junger Mensch mit
seinem Denken herausbringt, um ebensoviel,
als jene Masse von genialischer Arbeit die Bemühung eines solchen jungen Menschen übertrifft.
Das originelle, eigentümliche Vorstellen der Jugend über die wesentlichen Gegenstände ist teils noch ganz dürftig und leer,
teils aber in seinem unendlich größeren Teile
Meinung, Wahn, Halbheit, Schiefheit, Unbestimmtheit.
Durch das Lernen tritt an die Stelle von diesem Wähnen die Wahrheit.
Wenn einmal der Kopf voll Gedanken ist, dann erst hat er die Möglichkeit, selbst die Wissenschaft weiterzubringen
und eine wahrhafte Eigentümlichkeit in ihr zu gewinnen;
darum aber ist es in öffentlichen Unterrichtsanstalten, vollends in Gymnasien nicht zu tun, sondern das philosophische Studium ist wesentlich auf diesen Gesichtspunkt zu richten, daß dadurch
etwas gelernt, die Unwissenheit verjagt, der leere Kopf mit Gedanken und Gehalt erfüllt und jene natürliche Eigentümlichkeit des Denkens,
d. h. die Zufälligkeit, Willkür, Besonderheit des Meinens vertrieben werde.

B. Der philosophische Inhalt hat in seiner Methode und Seele drei Formen;
1. ist er
abstrakt,
2.
dialektisch,
3.
spekulativ.
Abstrakt
, insofern er im Elemente des Denkens überhaupt ist; aber bloß abstrakt dem Dialektischen und Spekulativen gegenüber ist er das sogenannte Verständige, das die Bestimmungen in ihren festen Unterschieden festhält und kennenlernt.
Das
Dialektische ist die Bewegung und Verwirrung jener festen Bestimmtheiten, - die negative Vernunft.
Das
Spekulative ist das positiv Vernünftige, das Geistige, erst eigentlich Philosophische.

Was den Vortrag der Philosophie auf Gymnasien betrifft, so ist erstens die abstrakte Form zunächst die Hauptsache.
Der Jugend muß zuerst das Sehen und Hören vergehen,
sie muß vom konkreten Vorstellen abgezogen, in die innere Nacht der Seele zurückgezogen werden,
auf diesem Boden sehen, Bestimmungen festhalten und unterscheiden lernen.

Ferner, abstrakt lernt man denken durch abstraktes Denken.
Man kann nämlich entweder vom Sinnlichen, Konkreten anfangen wollen und dieses zum Abstrakten durch Analyse
heraus- und hinaufpräparieren, so - wie es scheint - den
naturgemäßen Gang nehmen,
wie auch so vom Leichteren zum Schwereren aufsteigen.
Oder aber man kann gleich vom Abstrakten selbst beginnen und dasselbe an und für sich nehmen, lehren und verständlich machen.
Erstlich, was die Vergleichung beider Wege betrifft,
so ist der erste gewiß
naturgemäßer, aber darum der unwissenschaftliche Weg.
Obwohl es naturgemäßer ist, daß eine das Runde ungefähr enthaltende Scheibe aus einem Baumstamme, durch Abstreifen der ungleichen, herausstehenden Stückchen nach und nach abgerundet worden sei, so verfährt doch der Geometer nicht so,
sondern er macht mit dem Zirkel oder der freien Hand
gleich einen genauen abstrakten Kreis.
Es ist der
Sache gemäß, weil das Reine, das Höhere, das Wahrhafte natura prius ist, mit ihm in der Wissenschaft auch anzufangen; denn sie ist das Verkehrte des bloß naturgemäßen, d. h. ungeistigen Vorstellens;
wahrhaft ist jenes das Erste, und die Wissenschaft soll tun, wie es wahrhaft ist.
-
Zweitens ist es ein völliger Irrtum, jenen naturgemäßen, beim konkreten Sinnlichen anfangenden und zum Gedanken fortgehenden Weg für den leichteren zu halten. Er ist im Gegenteil der schwerere,
- wie es leichter ist. die Elemente der Tonsprache, die einzelnen Buchstaben, auszusprechen und zu lesen als ganze Worte.
- Weil das Abstrakte das Einfachere ist, ist es leichter aufzufassen.
Das konkrete sinnliche Beiwesen ist ohnehin wegzustreifen; es ist daher überflüssig, es vorher dazu zu nehmen,
da es wieder weggeschafft werden muß, und es wirkt nur
zerstreuend.
Das Abstrakte ist als solches verständlich genug, so viel nötig ist;
der rechte Verstand soll ja überdies erst durch die Philosophie hineinkommen.
Es ist darum zu tun, die
Gedanken von dem Universum in den Kopf zu bekommen;
die Gedanken aber sind überhaupt das Abstrakte. Das formelle
gehaltlose Räsonnement ist freilich auch abstrakt genug.
Aber es wird vorausgesetzt, daß man Gehalt und den rechten Inhalt habe;
der leere Formalismus, die gehaltlose Abstraktion aber, wäre es auch über das Absolute, wird eben durch das Obige
am besten vertrieben, nämlich durch Vortrag eines bestimmten Inhalts.

Hält man sich nun bloß an die abstrakte Form des philosophischen Inhalts, so hat man eine (sogenannte) verständige Philosophie; und indem es auf dem Gymnasium um Einleitung und Stoff zu tun ist, so ist jener verständige Inhalt, jene systematische Masse abstrakter gehaltvoller Begriffe unmittelbar das Philosophische als Stoff und ist Einleitung, weil der Stoff überhaupt für ein wirkliches, erscheinendes Denken das Erste ist.
Diese erste Stufe scheint daher das Vorherrschende in der Gymnasialsphäre sein zu müssen.

Die zweite Stufe der Form ist das Dialektische.
Diese ist teils schwerer als das Abstrakte, teils der nach Stoff und Erfüllung begierigen Jugend das am wenigsten Interessante.
Die Kantischen Antinomien sind im Normativ angegeben in Rücksicht auf Kosmologie;
sie enthalten eine tiefe Grundlage über das Antinomische der Vernunft, aber diese Grundlage liegt zu verborgen und sozusagen gedankenlos und zu wenig in ihrer Wahrheit erkannt in ihnen;
andernteils sind sie wirklich ein zu schlechtes Dialektisches - weiter nichts als geschrobene Antithesen:
ich habe sie in meiner
Logik, wie ich glaube, nach Verdienst beleuchtet.
Unendlich besser ist die Dialektik der alten Eleatiker [>>>] und die Beispiele, die uns davon aufbewahrt sind.
- Da eigentlich in einem systematischen Ganzen jeder neue Begriff durch die
Dialektik des Vorhergehenden entsteht,
so hat der Lehrer, der diese Natur des Philosophischen kennt, die Freiheit, allenthalben den Versuch mit der Dialektik zu machen, so oft er mag, und, wo sie keinen Eingang findet, ohne sie zum nächsten Begriff überzugehen.

Das Dritte ist das eigentlich Spekulative, d. h. die Erkenntnis des Entgegengesetzten in seiner Einheit,
-oder genauer, daß die Entgegengesetzten in ihrer Wahrheit eins sind.
Dieses Spekulative ist erst das eigentlich Philosophische.
Es ist natürlich das
Schwerste; es ist die Wahrheit, es selbst ist in gedoppelter Form vorhanden:
1. in gemeiner, dem
Vorstellen, der Einbildungskraft, auch dem Herzen näher gebrachter Form,
z. B. wenn man von dem allgemeinen, sich selbst bewegenden, und in unendlicher Form gestaltenden Leben der Natur spricht - Pantheismus und dergleichen -, wenn man von der ewigen Liebe Gottes spricht, der darum Schöpfer ist, um zu lieben,
um sich selbst in seinem ewigen Sohne und dann in einem der Zeitlichkeit dahingegebenen Sohne, der Welt anzuschauen u. dgl.
Das Recht, das Selbstbewußtsein, das Praktische überhaupt enthält schon an und für sich selbst die Prinzipien oder Anfänge davon, und vom
Geiste und dem Geistigen ist eigentlich auch nicht ein Wort zu sagen als ein spekulatives,
denn er ist die Einheit im Anderssein mit sich;
sonst spricht man, wenn man auch die Worte Seele, Geist, Gott braucht, doch nur von Steinen und Kohlen.
- Indem man nun vom Geistigen bloß abstrakt oder verständig spricht, so kann der Inhalt doch spekulativ sein,
- so gut als der Inhalt der vollkommenen Religion höchst spekulativ ist.
Aber dann bringt der Vortrag, er sei begeistert oder, wenn er dies nicht ist, gleichsam erzählend,
den Gegenstand nur vor die
Vorstellung, nicht in den Begriff.

Das Begriffene, und dies heißt das aus der Dialektik hervorgehende Spekulative ist allein das Philosophische in der Form des Begriffs. Dies kann nur sparsam im Gymnasialvortrag vorkommen; es wird überhaupt von wenigen gefaßt, und man kann zum Teil auch nicht recht wissen, ob es von ihnen gefaßt wird. - Spekulativ denken lernen, was als die Hauptbestimmung des vorbereitenden philosophischen Unterrichts im Normativ angegeben wird, ist daher gewiß als das notwendige Ziel anzusehen; die Vorbereitung dazu ist das abstrakte und dann das dialektische Denken, ferner die Erwerbung von Vorstellungen spekulativen Inhalts. Da der Gymnasialunterricht wesentlich vorbereitend ist, so wird er darin vornehmlich bestehen können, auf diese Seiten des Philosophierens hinzuarbeiten.

 

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