7. Logik für die Mittelklasse
(1810/11)
Einleitung
§ 1
Die Wissenschaft der Logik hat das Denken und den Umfang seiner Bestimmungen zum Gegenstande. Natürliche Logik heißt man den natürlichen Verstand, den der Mensch überhaupt von Natur hat, und den unmittelbaren Gebrauch, den er davon macht. Die Wissenschaft der Logik aber ist das Wissen von dem Denken in seiner Wahrheit.
Die Logik betrachtet das Gebiet des Gedankens überhaupt. Das Denken ist seine eigene Sphäre. Es ist ein Ganzes für sich. Der Inhalt der Logik sind die eigentümlichen Bestimmungen des Denkens selbst, die gar keinen anderen Grund als das Denken haben. Das ihm Heteronomische ist ein durch die Vorstellung überhaupt Gegebenes. Die Logik ist also eine große Wissenschaft. Es muß allerdings zwischen dem reinen Gedanken und der Realität unterschieden werden; aber Realität, insofern darunter die wahrhafte Wirklichkeit verstanden wird, hat auch der Gedanke. Insofern aber damit nur das sinnliche, äußerliche Dasein gemeint ist, hat er sogar eine viel höhere Realität. Das Denken hat also einen Inhalt, und zwar sich selbst auf autonomische Weise. - Durch das Studium der Logik lernt man auch richtiger denken, denn indem wir das Denken des Denkens denken, verschafft sich der Geist damit seine Kraft. Man lernt die Natur des Denkens kennen, wodurch man ausspüren kann, wenn das Denken sich will zum Irrtum verführen lassen. Man muß sich Rechenschaft von seinem Tun zu geben wissen. Dadurch erlangt man Festigkeit, sich nicht von anderen irremachen zu lassen.
§ 2
Das Denken ist überhaupt das Auffassen und Zusammenfassen des Mannigfaltigen in der Einheit. Das Mannigfaltige als solches gehört der Äußerlichkeit überhaupt, dem Gefühl und der sinnlichen Anschauung an.
Das Denken besteht darin, alles Mannigfaltige in die Einheit zu bringen. Indem der Geist über die Dinge denkt, bringt er sie auf die einfachen Formen, welche die reinen Bestimmungen des Geistes sind. Das Mannigfaltige ist dem Denken zunächst äußerlich. Insofern wir das sinnlich Mannigfaltige auffassen, denken wir noch nicht, sondern erst das Beziehen desselben ist das Denken. Das unmittelbare Auffassen des Mannigfaltigen heißen wir Fühlen oder Empfinden. Wenn ich fühle, weiß ich bloß von etwas; in der Anschauung aber schaue ich etwas als ein mir Äußerliches im Raum und in der Zeit an. Das Gefühl wird zur Anschauung, wenn es räumlich und zeitlich bestimmt wird.
§ 3
Das Denken ist Abstraktion, insofern die Intelligenz von konkreten Anschauungen ausgeht, eine von den mannigfaltigen Bestimmungen wegläßt und eine andere hervorhebt und ihr die einfache Form des Denkens gibt.
Wenn ich alle Bestimmungen von einem Gegenstand weglasse, so bleibt nichts übrig. Wenn ich dagegen eine Bestimmung weglasse und eine andere heraushebe, so ist dies abstrakt. Das Ich z. B. ist eine abstrakte Bestimmung. Ich weiß nur von Ich, insofern ich mich von allen Bestimmungen absondere. Dies ist aber ein negatives Mittel. Ich negiere die Bestimmungen von mir und lasse mich nur als solchen. Das Abstrahieren ist die negative Seite des Denkens.
§ 4
Der Inhalt der Vorstellungen ist aus der Erfahrung genommen, aber die Form der Einheit selbst und deren weitere Bestimmungen haben nicht in dem Unmittelbaren derselben als solchem ihre Quellen, sondern in dem Denken.
Ich heißt überhaupt Denken. Wenn ich sage: ich denke, so ist dies etwas Identisches. Ich ist vollkommen einfach. Ich bin denkend, und zwar immer. Wir können aber nicht sagen: ich denke immer. An sich wohl, aber unser Gegenstand ist nicht immer auch Gedanke. Wir können aber in dem Sinne, daß wir Ich sind, sagen, wir denken immer, denn Ich ist immer die einfache Identität mit sich, und das ist Denken. Als Ich sind wir der Grund aller unserer Bestimmungen. Insofern der Gegenstand gedacht wird, erhält er die Form des Denkens und wird zu einem gedachten Gegenstand. Er wird gleichgemacht dem Ich, d. h. er wird gedacht.
§ 5
Dies ist nicht so zu verstehen, als ob diese Einheit erst durch das Denken zu dem Mannigfaltigen der Gegenstände hinzutrete und die Verknüpfung erst von außen darein gebracht werde, sondern die Einheit gehört ebensosehr dem Objekt an und macht mit ihren Bestimmungen auch dessen eigene Natur aus.
§ 6
Der Gedanken sind dreierlei: 1. die Kategorien; 2. die Reflexionsbestimmungen; 3. die Begriffe. Die Lehre von den beiden ersteren macht die objektive Logik oder Metaphysik aus; die Lehre von den Begriffen die eigentliche oder subjektive Logik.
Die Logik enthält das System des reinen Denkens. Das Sein ist 1. das unmittelbare, 2. das innerliche; die Denkbestimmungen gehen wieder in sich zurück. Die Gegenstände der gewöhnlichen Metaphysik sind das Ding, die Welt, der Geist und Gott, wodurch die verschiedenen metaphysischen Wissenschaften, Ontologie, Kosmologie, Pneumatologie und Theologie, entstehen.
3. Was der Begriff darstellt, ist ein Seiendes, aber auch ein Wesentliches. Das Sein verhält sich als das Unmittelbare zum Wesen als dem Mittelbaren. Die Dinge sind überhaupt, allein ihr Sein besteht darin, ihr Wesen zu zeigen. Das Sein macht sich zum Wesen, was man auch so ausdrücken kann: das Sein setzt das Wesen voraus. Aber wenn auch das Wesen im Verhältnis zum Sein als das Vermittelte erscheint, so ist doch das Wesen das Ursprüngliche. Das Sein geht in ihm in seinen Grund zurück; das Sein hebt sich in dem Wesen auf. Sein Wesen ist auf diese Weise ein Gewordenes oder Hervorgebrachtes, aber vielmehr, was als Gewordenes erscheint, ist auch das Ursprüngliche. Das Vergängliche hat das Wesen zu seiner Grundlage und wird aus demselben.
Wir machen Begriffe. Diese sind etwas von uns Gesetztes, aber der Begriff enthält auch die Sache an und für sich selbst. In Verhältnis zu ihm ist das Wesen wieder das Gesetzte, aber das Gesetzte verhält sich doch als wahr. Der Begriff ist teils der subjektive, teils der objektive. Die Idee ist die Vereinigung von Subjektivem und Objektivem. Wenn wir sagen, es ist ein bloßer Begriff, so vermissen wir darin die Realität. Die bloße Objektivität hingegen ist ein Begriffloses. Die Idee aber gibt an, wie die Realität durch den Begriff bestimmt ist. Alles Wirkliche ist eine Idee.
§ 7
Die Wissenschaft setzt voraus, daß die Trennung seiner selbst und der Wahrheit bereits aufgehoben ist oder der Geist nicht mehr, wie er in der Lehre vom Bewußtsein betrachtet wird, der Erscheinung angehört. Die Gewißheit seiner selbst umfaßt alles, was dem Bewußtsein Gegenstand ist, es sei äußerliches Ding oder auch aus dem Geist hervorgebrachter Gedanke, insofern es nicht alle Momente des An- und Fürsichseins in sich enthält: an sich zu sein oder einfache Gleichheit mit sich selbst; Dasein oder Bestimmtheit zu haben, Sein-für-Anderes; und für sich sein, in dem Anderssein einfach in sich zurückgekehrt und bei sich zu sein. Die Wissenschaft sucht nicht die Wahrheit, sondern ist in der Wahrheit und die Wahrheit selbst.
Bei Rosenkranz erscheint dieser Text als Zweite Abteilung des Kurses "Phänomenologie des Geistes und Logik" für die Mittelklasse (Werke Bd. XVIII, S. 113 ff.). - Der hier vorgelegte Text folgt bis § 28 Rosenkranz, von da an dem von Hoffmeister edierten Manuskript. - Zusätze in Klammern (bis § 29) von Rosenkranz, nach Hegels Diktaten; Zusätze (ab § 29): Randnotizen Hegels.
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