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Georg
Wilhelm Friedrich
Hegel
Nürnberger und Heidelberger  Schriften
1808-1817


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Anhang über die Antinomien

§ 77 [69]

Die Kategorien sind einfache Bestimmungen, aber die, welche nicht die ersten Elemente der Bestimmung ausmachen, sind es nur, insofern sie als entgegengesetzte Momente darin zur Einfachheit reduziert sind.
Indem nun eine solche Kategorie von einem Subjekte prädiziert und zugleich durch die Analyse jene entgegengesetzten Momente entwickelt werden, so sind beide von dem Subjekt zu prädizieren; und es entstehen dadurch antinomische Sätze, deren jeder gleiche Wahrheit hat.

§ 78 [70]

Kant hat vornehmlich auf die Antinomien aufmerksam gemacht, jedoch die Antinomik der Vernunft nicht erschöpft, indem er nur einige Formen derselben aufgestellt hat. Dies sind folgende:

 

§ 79 [71/72]

I. Antinomie
über die Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt,
der Zeit und dem Raume nach

a) Antinomie der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt, der Zeit nach

Thesis: [Die Welt hat einen Anfang in der Zeit.

Beweis: Man nehme an, die Welt habe der Zeit nach keinen Anfang; so ist bis zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine Ewigkeit abgelaufen und mithin eine unendliche Reihe aufeinander folgender Zustände der Dinge in der Welt verflossen.
Die Unendlichkeit einer Reihe besteht aber darin, daß sie durch das sukzessive Zusammenfassen nicht vollendet sein kann.
Also [ist] eine unendliche Weltreihe unmöglich, mithin ein Anfang der Welt in der Zeit notwendig.]

[Antithesis: Die Welt hat keinen Anfang in der Zeit und ist in der Zeit unendlich.

Beweis: Man setze, sie hätte einen Anfang, so wäre vor dem Anfange eine Zeit, worin sie nicht da wäre, - leere Zeit.
In einer leeren Zeit kann aber nichts entstehen; denn es ist darin keine Bedingung des Daseins, und das Daseiende hat Daseiendes zur Bedingung oder ist nur von anderem Daseienden begrenzt.
Also kann die Welt keinen Anfang haben, sondern jedes Dasein setzt ein anderes voraus und so fort ins Unendliche.]

§ 80 [73]

Die Beweise dieser Antinomie reduzieren sich kurz auf den direkten Gegensatz:

1. Die Welt ist der Zeit nach endlich oder hat eine Grenze; nämlich das Jetzt ist in dem Beweise der Thesis der gegenwärtige Augenblick, in welchem die Unendlichkeit abgelaufen, d. h. endlich wäre.

2. Das Dasein hat nicht an dem Nichtdasein, an der leeren Zeit eine Grenze, sondern nur an einem Dasein;
die sich Begrenzenden sind auch positiv aufeinander bezogen, und eines hat zugleich dieselbe Bestimmung als das andere;
indem also jedes Dasein durch ein anderes Dasein begrenzt ist und jedes zugleich ein endliches, d. h. ein solches, über welches hinausgegangen werden muß, so ist der Progreß ins Unendliche gesetzt.    
                                                                                                    [am Rand:] Land begrenzt Land - Land durch Land, nicht durch Luft.

§ 81 [74]

Die wahrhafte Auflösung dieser Antinomie [ist], daß weder jene Grenze noch dies Unendliche für sich etwas Wahres ist;
denn die Grenze ist ein solches, über das hinausgegangen werden muß;
und dies Unendliche ist nur ein solches, dem die Grenze immer wieder entsteht und das über sie hinaus nur ein leeres Negatives ist. Die wahre Unendlichkeit ist die Reflexion-in-sich, und die Vernunft betrachtet nicht die zeitliche Welt, sondern die Welt in ihrem Wesen und Begriff.

 

§ 82 [75/76]

b) Antinomie der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt im Raume

[Thesis: Die Welt ist dem Raume nach begrenzt.

Beweis: Man nehme an, sie sei unbegrenzt; so ist sie ein unendliches gegebenes Ganzes von zugleich existierenden Dingen,
und sie ist auch überhaupt ein Gegenstand.
Ein solches Ganzes kann nur durch die Synthesis der enthaltenen Teile als vollendet angesehen werden.
Zu dieser Vollendung aber gehörte eine unendliche Zeit, welche als abgelaufen angenommen werden müßte, was unmöglich ist. Demnach kann ein unendliches Aggregat existierender Dinge nicht als ein gegebenes, mithin nicht als ein zugleich gegebenes Ganzes angesehen werden. Die Welt ist folglich nicht unendlich, sondern in Grenzen eingeschlossen.] 

[Antithesis: Die Welt ist dem Raume nach unbegrenzt.

Beweis: Man nehme an, die Welt sei begrenzt; so befindet sie sich in einem leeren unbegrenzten Raume.
Die Welt hätte also ein Verhältnis zu dem leeren Raume.
Dies wäre ein Verhältnis zu keinem Gegenstande; ein solches Verhältnis aber, mithin das der Welt zum leeren Raume, ist nichts. Mithin ist die Welt unendlich.]

§ 83 [77]

Die Beweise dieser antinomischen Sätze beruhen eigentlich gleichfalls auf direkten Behauptungen.

1. Der Beweis der Thesis führt die Vollendung der zugleich vorhandenen Totalität der räumlichen Welt auf die Sukzession der Zeit zurück, in der die Synthesis geschehen müßte, was teils unrichtig, teils überflüssig ist;
denn es ist in der räumlichen Welt nicht von einer Aufeinanderfolge, sondern von einem Nebeneinander die Rede.
Indem eine abgelaufene unendliche Zeit angenommen wird, wird ein Jetzt angenommen; ebensosehr ist im Raume ein Hier,
d. h. Grenze des Raums überhaupt anzunehmen.

2. Indem über die Grenze im Raume überhaupt hinauszugehen ist, so ist damit (das Gegenteil, der Progreß ins Unendliche)
das Negative der Grenze gesetzt, aber indem dieses wesentlich nur ein Negatives der Grenze ist,
so ist es durch sie bedingt und auf dieselbe Weise wie bei der Antithese der vorigen Antinomie der unendliche Progreß gesetzt

 

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