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Wilhelm Friedrich
Hegel
Nürnberger und Heidelberger  Schriften
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- Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Unterklasse -                                              Inhalt

Zweiter Abschnitt: Pflichtenlehre oder Moral

§ 32

Was nach dem Recht gefordert werden kann, ist eine Schuldigkeit.
Pflicht aber ist etwas, insofern es aus moralischen Gründen zu beobachten ist.

Das Wort Pflicht wird häufig von rechtlichen Verhältnissen gebraucht.
Die Rechtspflichten bestimmte man als vollkommene, die moralischen als unvollkommene,
weil jene überhaupt geschehen müssen und eine äußerliche Notwendigkeit haben,
die moralischen Pflichten aber auf einem subjektiven Willen beruhen.
Allein man könnte ebenso die Bestimmung umkehren, weil die Rechtspflicht als solche nur eine äußerliche Notwendigkeit fordert, wobei die Gesinnung fehlen kann, oder ich kann sogar eine schlimme Absicht dabei haben.
Hingegen zur moralischen Gesinnung wird beides erfordert, sowohl die rechte Handlung ihrem Inhalt nach
als auch der Form nach das Subjektive der Gesinnung.

§ 33

Das Recht läßt überhaupt die Gesinnung frei.
Die Moralität dagegen betrifft wesentlich die Gesinnung und fordert, daß die Handlung aus Achtung vor der Pflicht geschehe.
So ist auch das rechtliche Verhalten moralisch, insofern es die Achtung vor dem Rechte zum Beweggrunde hat.

§ 34

Die Gesinnung ist die subjektive Seite der moralischen Handlung oder die Form derselben.
Es ist darin noch kein Inhalt vorhanden, welcher wie das wirkliche Handeln gleich wesentlich ist.

Mit dem rechtlichen Verhalten soll wesentlich auch das moralische verbunden sein.
Es kann aber auch der Fall sein, daß mit dem rechtlichen Verhalten die Gesinnung des Rechts nicht verbunden ist,
ja sogar, daß eine unmoralische Gesinnung dabei stattfindet.
Die rechtliche Handlung ist, insofern sie aus Achtung vor dem Gesetz geschieht, zugleich auch moralisch.
Das rechtliche Handeln - und zugleich mit der moralischen Gesinnung - ist schlechterdings zuerst zu verfolgen,
und dann erst kann das moralische Handeln als solches eintreten, worin kein rechtliches Gebot (keine Rechtsschuldigkeit) vorhanden ist.
Die Menschen handeln gern bloß moralisch oder edel und schenken oft lieber weg, als daß sie ihre Rechtsschuldigkeiten erfüllen. Denn in der edlen Handlung geben sie sich das Bewußtsein ihrer besonderen Vollkommenheit, da sie hingegen im rechtlichen Handeln das vollkommen Allgemeine ausüben, das ihnen mit allen gleich ist.

Alles Wirkliche enthält zwei Seiten, den wahren Begriff und die Realität dieses Begriffs;
z. B. der Begriff des Staates ist die Sicherung und die Verwirklichung des Rechtes.
Zur Realität gehört nun die besondere Einrichtung der Verfassung, das Verhältnis der einzelnen Gewalten usf.
Zum wirklichen Menschen gehört auch, und zwar nach seiner praktischen Seite, der Begriff und die Realität des Begriffs.
Zu jenem gehört die reine Persönlichkeit oder die abstrakte Freiheit, zu diesem die besondere Bestimmung des Daseins und
das Dasein selbst. Zwar ist in diesem ein Mehreres als im Begriff enthalten, aber zugleich muß es diesem gemäß und durch ihn bestimmt sein.
Der reine Begriff des praktischen Daseins, das Ich, ist der Gegenstand des Rechts.

§ 35

Die moralische Handlungsweise bezieht sich auf den Menschen nicht als abstrakte Person,
sondern auf ihn nach den allgemeinen und notwendigen Bestimmungen seines besonderen Daseins.
Sie ist daher nicht bloß verbietend, wie eigentlich das Rechtsgebot, welches nur gebietet, die Freiheit des anderen unangetastet zu lassen, sondern gebietet, dem anderen auch Positives zu erweisen.
Die Vorschriften der Moral gehen auf die einzelne Wirklichkeit.

§ 36

Der Trieb des Menschen nach seinem besonderen Dasein, wie die Moral es betrachtet,
geht auf die Übereinstimmung des Äußeren überhaupt mit seinen inneren Bestimmungen, auf Vergnügen und Glückseligkeit.

Der Mensch hat Triebe, d. h. er hat innerliche Bestimmungen in seiner Natur oder nach derjenigen Seite, nach welcher er ein Wirkliches überhaupt ist. Diese Bestimmungen sind also ein Mangelhaftes, insofern sie nur ein Innerliches sind.
Sie sind Triebe, insofern sie darauf ausgehen, diesen Mangel aufzuheben,
d. h. sie fordern ihre Realisierung, die Übereinstimmung des Äußerlichen mit dem Innerlichen.
Diese Übereinstimmung ist das Vergnügen. Ihm geht daher eine Reflexion als Vergleichung zwischen dem Innerlichen und Äußerlichen voraus, mag dies von mir oder dem Glücke herrühren.
Das Vergnügen kann nun aus den mannigfaltigsten Quellen entspringen. Es hängt nicht vom Inhalt ab, sondern betrifft nur die Form, oder es ist das Gefühl eines nur Formellen, nämlich der angegebenen Übereinstimmung.
Die Lehre, welche das Vergnügen oder vielmehr die Glückseligkeit zum Zwecke hat, ist Eudämonismus genannt worden.
Es ist aber darin unbestimmt, worin man das Vergnügen oder die Glückseligkeit zu suchen habe.
Es kann also einen ganz rohen, groben Eudämonismus geben, aber ebensogut einen besseren;
nämlich die guten wie die bösen Handlungen können sich auf dies Prinzip gründen.

§ 37

Diese Übereinstimmung ist als Vergnügen ein subjektives Gefühl und etwas Zufälliges,
das sich an diesen oder jenen Trieb und seinen Gegenstand knüpfen kann
und worin ich mir nur als natürliches Wesen und nur als Einzelner Zweck bin.

Das Vergnügen ist etwas Subjektives und bezieht sich bloß auf mich als einen Besonderen.
Es ist nicht das Objektive, Allgemeine, Verständige daran.
Es ist deswegen kein Maßstab oder keine Regel, womit eine Sache beurteilt oder gerichtet wird.
Wenn ich sage, daß es mir ebenso gefällt, oder mich auf mein Vergnügen berufe, so spreche ich nur aus, daß die Sache für mich so gilt, und habe dadurch das verständige Verhältnis mit anderen aufgehoben.
Es ist zufällig seinem Inhalt nach, weil es sich an diesen oder jenen Gegenstand knüpfen kann, und weil es nicht auf den Inhalt ankommt, so ist es etwas Formelles. Auch seinem äußerlichen Dasein nach ist das Vergnügen zufällig, die Umstände vorzufinden. Die Mittel, welche ich dazu brauche, sind etwas Äußerliches und hängen nicht von mir ab.
Zweitens muß das Dasein, was ich durch die Mittel zustande gebracht habe, insofern es mir Vergnügen machen soll, für mich werden, an mich kommen. Dies aber ist das Zufällige. Die Folgen dessen, was ich tue, kehren darum nicht an mich zurück.
Ich habe den Genuß derselben nicht notwendigerweise.
- Das Vergnügen entspringt also aus zweierlei Umständen:
erstens aus einem Dasein, das man vorfinden muß, was ganz vom Glück abhängt;
und zweitens aus einem solchen, das ich selbst hervorbringe.
Dies Dasein hängt zwar als Wirkung meiner Tat von meinem Willen ab, aber nur die Handlung als solche gehört mir;
hingegen der Erfolg muß nicht notwendig auf mich zurückkommen, folglich auch nicht der Genuß der Handlung.
In einer solchen Handlung wie der des Decius Mus für sein Vaterland liegt, daß die Wirkung derselben nicht auf ihn als Genuß zurückkommen sollte. Es sind überhaupt nicht die Folgen zum Prinzip der Handlung zu machen.
Die Folgen einer Handlung sind zufällig, weil sie ein äußerliches Dasein sind, das von anderen Umständen abhängt oder aufgehoben werden kann.

Das Vergnügen ist ein Sekundäres, ein die Tat Begleitendes.
Indem das Substantielle verwirklicht wird, so fügt sich das Vergnügen insofern hinzu, als man im Werke auch sein Subjektives erkennt. Wer dem Vergnügen nachgeht, sucht nur sich nach seiner Akzidentalität.
Wer mit großen Werken und Interessen beschäftigt ist, strebt nur die Sache an sich zur Wirklichkeit zu bringen.
Er ist auf das Substantielle gerichtet, erinnert sich seiner darin nicht, vergißt sich in der Sache.
Menschen von großen Interessen und Arbeiten pflegen vom Volke bedauert zu werden, daß sie wenig Vergnügen haben,
d. h. daß sie nur in der Sache, nicht in ihrer Akzidentalität leben.

§ 38

Die Vernunft hebt die Unbestimmtheit auf, welche das angenehme Gefühl in Ansehung der Gegenstände hat,
reinigt den Inhalt der Triebe von dem Subjektiven und Zufälligen und lehrt in Rücksicht auf den Inhalt das Allgemeine und Wesentliche des Begehrenswerten kennen, in Rücksicht auf die Form oder Gesinnung aber das Objektive
oder das Handeln um der Sache selbst willen.

Zunächst geht der Verstand oder die Reflexion über das unmittelbare Vergnügen hinaus,
verändert aber den Zweck oder das Prinzip nicht.
Sie geht insofern nur über das einzelne Vergnügen hinaus, vergleicht die Triebe miteinander und kann also den einen dem anderen vorziehen.
- Indem sie nicht auf das Vergnügen als Einzelnes, sondern auf das im Ganzen geht, beabsichtigt sie Glückseligkeit.
Diese Reflexion bleibt noch innerhalb des subjektiven Prinzips stehen und hat das Vergnügen noch zum Zwecke,
aber nur das größere, vielfachere.
Indem sie Unterschiede im Vergnügen macht und überhaupt an allen verschiedenen Seiten das Angenehme sucht,
verfeinert sie das Rohe, Wilde und bloß Tierische des Vergnügens und mildert die Sitten und Gesinnungen überhaupt.
Insofern also der Verstand sich mit den Mitteln, Bedürfnisse überhaupt zu befriedigen, beschäftigt, erleichtert er dadurch
diese Befriedigung und erhält dadurch die Möglichkeit, sich höheren Zwecken zu widmen.
- Auf der andern Seite macht diese Verfeinerung der Vergnügungen den Menschen weichlicher.
Indem er seine Kräfte auf so vielerlei Gegenstände verwendet und sich so mannigfaltige Zwecke macht, welche durch das Unterscheiden ihrer verschiedenen Seiten immer kleiner werden, so wird seine Kraft überhaupt geschwächt,
sich auf das Wesentliche mit seinem ganzen Geist zu richten.
Wenn der Mensch das Vergnügen zum Zweck macht, so hebt er durch diese Reflexion den Trieb auf,
darüber hinauszugehen und etwas Höheres zu tun.

Das Vergnügen ist unbestimmt in Ansehung des Inhalts, weil es bei allen Gegenständen stattfinden kann.
Es kann bei ihm also insofern kein objektiver Unterschied, nur ein quantitativer gemacht werden.
Der Verstand, die Folgen berechnend, zieht das größere dem kleineren vor.

Die Vernunft hingegen macht einen qualitativen Unterschied, d. h. einen Unterschied in Ansehung des Inhalts.
Sie zieht den würdigen Gegenstand des Vergnügens dem nichtswürdigen vor.
Sie läßt sich also auf eine Vergleichung der Natur der Gegenstände ein.
Insofern betrachtet sie nicht mehr das Subjektive als solches, nämlich das angenehme Gefühl, sondern das Objektive.
Sie lehrt also, was für Gegenstände der Mensch um ihrer selbst willen zu begehren hat.
Bei dem Menschen, dem seiner allgemeinen Natur halber so unendlich mannigfaltige Quellen des Vergnügens offenstehen,
ist überhaupt die Richtung auf das Angenehme täuschend, und er läßt sich durch diese Mannigfaltigkeit leicht zerstreuen,
d. h. von einem Zweck abbringen, den er zu seiner Bestimmung machen sollte.

Der Trieb des Angenehmen kann mit der Vernunft übereinstimmen,
d. h. daß beide den nämlichen Inhalt haben, daß die Vernunft den Inhalt legitimiert.
- In Ansehung der Form handelt der Trieb um des subjektiven Gefühls willen
oder hat das Angenehme des Subjekts zum Zweck.
Bei der Handlung um eines allgemeinen Gegenstandes willen ist das Objekt selbst der Zweck.
Hingegen der Trieb des Angenehmen ist immer eigensüchtig.

§ 39

Die Triebe und Neigungen sind
1. an sich betrachtet weder gut noch böse, d. h. der Mensch hat sie unmittelbar als Naturwesen.
2. Gut und böse sind moralische Bestimmungen und kommen dem Willen zu.
Das Gute ist das der Vernunft Entsprechende.
3. Triebe und Neigungen können aber nicht ohne Beziehung auf den Willen betrachtet werden.
Diese Beziehung ist nicht zufällig und der Mensch kein gleichgültiges Doppelwesen.

Die Moralität hat den Menschen in seiner Besonderheit zum Gegenstande.
Diese scheint zunächst nur eine Menge von Mannigfaltigkeiten zu enthalten,
das Ungleiche, was die Menschen voneinander unterscheidet.
Wodurch aber die Menschen voneinander unterschieden sind, ist das Zufällige,
von der Natur und äußeren Umständen Abhängige. Im Besonderen ist aber zugleich etwas Allgemeines enthalten.
Die Besonderheit des Menschen besteht im Verhältnis zu anderen.
In diesem Verhältnis sind nun auch wesentliche und notwendige Bestimmungen.
Diese machen den Inhalt der Pflicht aus.

§ 40

Der Mensch hat
1. die wesentliche Bestimmung, ein Einzelner zu sein,
2. gehört er einem natürlichen Ganzen, der Familie an,
3. ist er Glied des Staates, 4. steht er in Verhältnis zu anderen Menschen überhaupt.
- Die Pflichten teilen sich daher in vier Gattungen:
1. in Pflichten gegen sich,
2. gegen die Familie,
3. gegen den Staat und
4. gegen andere Menschen überhaupt.

 

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